Kinderfachabteilung der LHP Lüneburg
1. Einrichtung 2. Vom
Gutachten bis zu Einschläferung eines Kindes
1. Einrichtung der KFA
Der Diplom-Landwirt Dr. Hans Hefelmann
sollte für den „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und
anlagebedingter schwerer Leiden“ „Kinderfachabteilungen“ einrichten.
Dazu ordnete er den zuständigen
Regierungsstellen an, gemäß des „Gnadentod“-Erlasses vom 1.09.1939 zu handeln.
Diese Umsetzung sollte jedoch intern erfolgen. Die entsprechenden Anstalten
wählte er besonders nach vertrauenswürdigen Ärzten und Anstaltsleitern aus, die
der Rassenlehre der Nationalsozialisten sehr verbunden waren.
So war der überwiegende Teil, ca. zwei
Drittel, der Anstaltspsychiater Mitglied in der NSDAP, etwa ein Drittel im
NS-Ärztebund und einzelne in der SS. Bei der Reichsärzteschaft verhielt es
sich ähnlich, wobei sich der Anteil der Mitglieder in der NSDAP nur auf knapp
die Hälfte belief. Insgesamt legte Hefelmann bei seiner Auswahl also mehr Wert
auf Loyalität zur nationalsozialistischen Ideologie als z.B. auf
eine Mitgliedschaft in der radikaleren SS.
Lüneburg wählte Hefelmann als Standort für
eine Kinderfachabteilung aus, da die Gegebenheiten der Anstalt eine Trennung von
Kindern und Erwachsenen leicht ermöglichte. Der damalige Anstaltsdirektor der
Landes-Heil – und Pflegeanstalt Lüneburg, Bräuner, hatte sich aus Hefelmanns
Sicht als vertrauenswürdig erwiesen, da er ein Gesetz zur Euthanasie öffentlich
befürwortet hatte.
Bräuner stimmte der Einrichtung einer KFA
in Lüneburg zu und schloss darin die Möglichkeit einer Euthanasie an Kindern
ein. Er setzte voraus, dass die Durchführung der Euthanasie von der
Reichsregierung legitimiert sei. Außerdem hoffte er, mit seiner Zustimmung die
geplante Schließung der Landes-Heil – und Pflegeanstalt Lüneburg zu verhindern.
So wurde 1941 die KFA Lüneburg im Haus 23
der Landes-Heil – und Pflegeanstalt eröffnet. Dazu wurden die betroffenen Kinder
aus Westdeutschland und Rotenburg/Wümme (seit Oktober 1941) nach Lüneburg
transportiert.
Der „Reichsausschuss zur
wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“
entschied anhand von Krankenakten der schwerbehinderten Kinder über deren Tötung
ohne persönliche Untersuchungen. Auf diese Weise wurden die sogenannten
„Reichsausschusskinder“ in der Kinderfachabteilungen zur Tötung freigegeben.
Meistens starben sie durch Injektion
überdosierter Medikamente bzw. Mischpräparate z.B. Morphium oder an gezielter
Vernachlässigung („Hungertod“) bzw. weil der tödliche Verlauf einer Krankheit
zur Nachforschung erwünscht war.
Quelle: „Euthanasie“:
Deportation und Tötung psychisch kranker Kinder in Norddeutschland (1940-1945)
2. Vom Gutachten bis zur Einschläferung eines Kindes
Als Leiter der Kinderfachabteilung hatte Baumert die Aufgabe, Gutachten über die
Kinder anzufertigen [...], die nach den Worten Bräuners „sehr oft in einem
derart desolaten Zustand (waren), dass sie keiner Nachhilfe mehr bedurften. [..]
Ein solches Gutachten meint Baumert nur dann erstellt zu haben, wenn er
„glaubte, das Kind sei so tiefstehend, dass eine Einschläferung zu vertreten sei
[...].“ Die Gutachten hatten also nur den einen Zweck, dem „Reichsauschuss“ die
Tötung eines Kindes vorzuschlagen. Nach Aussage Bräuners entsprach der
„Reichsausschuss“ in den „allermeisten Fällen diesem Vorschlag“ [...].Hier wird
deutlich, dass den beiden für die Tötung verantwortlichen Ärzten Bräuner und
Baumert nicht etwa auferlegt wurde,
bestimmte Kinder zu töten, sondern dass sie selbst entschieden,
welche und wie viele Kinder getötet wurden.
Das von Baumert handgeschriebene Gutachten wurde von der
Sekretärin des Direktors, die nach der Aussage eines früheren
Lüneburger Anstaltsarztes „das weitgehenste Vertrauen des
Direktors besaß“ [...], mit der Maschine geschrieben und von dem
Direktor an den „Reichsauschuss“ übersandt [...]. Nach
vier bis sechs Wochen kam mit einem an Bräuner „persönlich“
gerichteten Schreiben des „Reichsausschusses“ die
„Behandlungsermächtigung“ aus Berlin [...]. Diese Mitteilungen
übergab Bräuner an Baumert [...], der seinerseits der
zuständigen Schwester angab, welches Kind „einzuschläfern sei“
[...] wie Baumert sich ausdrückt. Die tödlichen
Medikamente wurden den Kindern immer nur von den von den in die
Tötungsaktionen eingeweihten Schwestern verabreicht und niemals
von Baumert selbst [...], wie Dora V. berichtet. [...]
Nach eigener Aussage gab Dora V. den Kindern die in Wasser
aufgelösten Tabletten [Luminal) zum Trinken. Dann seien die
Kinder „eingeschlafen“ und hätten sich nicht mehr bewegt. In
eineinhalb bis zwei Tagen sei dann der Tod eingetreten. Wenn in
seltenen Fällen ein Kind bis zu einem Dämmerzustand“ erwachte,
habe Baumert eine neue Medikamentengabe angeordnet [...]. Als
Todesursache für die so getöteten Kinder , wurde, wie Baumert
aussagt, „meistens Lungenentzündung angegeben“ [...].
Quelle:
Suesse, T.,Meyer, H.:Abtransport der „Lebensunwerten“ – die
Konfrontation Niedersächsischer Anstalten mit der NS –
„Euthanasie“, Hannover, 1988, S.161
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