Eine Zeitzeugin erzählt

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An dieser Stelle möchten wir Hildegard Breuer (geb. Beckers) dafür danken, dass sie uns diesen unglaublich ausführlichen und interessanten Bericht ermöglicht hat, indem sie uns berichtet und ihre Bilder zur Verfügung stellte.

Außerdem möchten wir diesen Bericht zuerst etwas näher erläutern:

Hildegard Beckers lebte in den 1930ern mit ihren Eltern in Mönchengladbach und zog später nach Jüchen, wo sie heute noch bzw. wieder wohnt.

Dieses "Interview" entstand bei einer gemütlichen Kaffeetisch-Runde, zu der wir den Kuchen und Frau Breuer den Kaffee, die Schlagsahne und die Räumlichkeiten beisteuerte(n).

Dieser Text ist unglaublich lang, aber wir empfehlen jedem, der nur ein wenig Interesse hat, ihn unbedingt zu lesen. Wir betrachten ihn als das Herz unseres Projektes und sind der Meinung, dass sich nichts mehr lohnt, als den Erzählungen einer Frau zu lauschen, die die Zeit des NS-Regimes ganz anders erlebt hat und ganz offen erzählt!!

Wie hat für Sie in der Familie, wo Sie noch in Gladbach gewohnt haben, das alles angefangen?

Also das war dann im September `39, da fing der Krieg an, da war die Mobilmachung und dann kamen, da wo ich wohnte, wo wir unser Haus hatten, die Batterien von Soldaten vorbei. Da fing ja der Polenfeldzug an und mit ihren Panzern und ihren Bagagewagen haben die sich eine ganze Zeit bei uns in der Straße aufgehalten.

(zeigt Photo) Und der Soldat hier war von meinem Vater ausgebildet worden, mein Vater war Betriebsleiter, und dann kommt der da mit dieser Battalion hat der uns, mein Brüderchen und mich, da drauf fotografiert.

Ja Gott, ich war gerade 15 oder wurde gerade 15, das fand ich toll; war halt interessant. Meine Mutter fand das nicht so toll. Die war ja todtraurig.

Dann kam, mussten wir von Amtswegen alle Keller mit Balken abstützen, war also Vorschrift, mussten wir machen, einmal mit Sand, dann bekam jeder eine Gasmaske.

Mein Vater hatte ein Auto, kamen irgendwelche vom Ordnungsamt oder wie das früher hieß (weiß ich auch nicht mehr) haben die das Auto in der Garage hochgebockt und die Reifen abgemacht haben. Da weiß ich noch, da war ich, wie gesagt fünfzehn, da hab ich mich ganz fürchterlich drüber aufgeregt. Oh, ich hab geschimpft. Die waren alle still, die konnten da ja nichts für, mussten das ja machen, aber meine Mutter und mein Vater, die haben nichts gesagt, denn die wussten ja, was dahinter steckte. Ja, KZ und.. aber ich konnte mir das ja leisten.

Dabei haben auch furchtbar gelacht: wir mussten einen Ausgang machen im Kellern, also einen Notausgang für den Fall, dass oben alles zusammenfällt, dass wir dann irgendwie da rauskommen. Und unser Notausgang war im Nebenhaus. Ja und dann haben wir den Notausgang geschlagen, was weiß ich, mit so einer Picke oder so was und meine Schwester stand hinter mir und ich hol aus und (huch) kriegt die von mir eine auf den Kopf (lacht).

Aber wir haben den Notausgang fertig bekommen. Zur Erinnerung, das war alles so traurig an für sich, aber wir haben furchtbar gelacht, wir waren ja 15/16. (schmunzelt noch mal).

Das haben wir ja auch alles gemacht, war ja Vorschrift und dann noch die Verdunkelung, das war ja ganz, ganz wichtig, also da waren die derart hinterher. Wir mussten alle Fenster verdunkeln. Wir kriegten, ich weiß gar nicht woher, so schwarze Pappe und da waren so Klebestreifen bei und da wurden alle Fenster mit zugeklebt, damit da kein Schimmer durchkam.

Wegen den Angriffen Nachts?

Ja, da konnten die sich dann zu gut orientieren. Schlimm war natürlich, kann ich mich auch noch dran erinnern, im Winter wurde es ja schon früh dunkel und ich war noch in der Stadt oder am Konservatorium und dann war das so dunkel und man musste erst gucken: "Wo warste denn?!". Man durfte ja auch keine Taschenlampe haben. Das Einzige, was wir hatten, war eine Leuchtplakette, die man an der Brust tragen musste. Dann konnte man sehen, ob einem Jemand entgegen kam.

Als der Krieg anfing musste jede Familie ein Zimmer übrig haben um Feldwebel unterzubringen. Da kamen Quartiermacher und guckten sich die Häuser an, so haben sie uns auch ein Zimmer abgenommen. Es kam auch drauf an, wie die Zimmer eingerichtet waren, und die Offiziere brauchten ja auch ein bisschen was Besseres und so war das auch bei uns unser Fremdenzimmer und so kriegten wir dann Offiziere in unser Haus. Da konnten wir nichts gegen machen, wir konnten nicht anders. Der eine ist in Russland gefallen und der andere… das weiß ich nicht, von dem haben wir nichts mehr gehört. Das waren auch nur diese zwei. Ja, die mussten wir aufnehmen. Da konnte man nicht sagen „Hab ich keinen Platz mehr für." oder so. (lacht leise)

Die Offiziere hatten ja auch einen Burschen, nicht?! Und der brachte dem dann mittags das Wssen, wenn die da waren. Wir mussten denen ja nicht bekochen, das bekamen die von der Gulaschkanone. Morgens früh, also nicht allzu sehr früh, wir waren da schon auf, kam dann der Bursche und putzte dem die Stiefel.

Von den Offizieren hab ich keine Aufnahmen und die waren auch teilweise sehr eingebildet.

Damals waren auch überall Luftschutzkeller, also wenn du jetzt in der Stadt warst und es kam Alarm, dann gucktest du: „Wo ist der nächste Luftschutzkeller?" und dann musstest du da rein. Da waren auch Beamte, die dafür sorgten, dass auch wirklich alle in einen Keller gingen.

Und dann kamen Lebensmittelmarken. Man konnte ja nichts mehr kaufen. Nicht wie heute. Man geht ins Geschäft und kauft sich was; Lebensmittel wurden also eingeteilt.

Das hab ich auch so schlimm gefunden. Dieses Hungern, also dieses „Nichts-kaufen-können". Könnt ihr euch das vorstellen?

Nee.

Du kriegst nichts. Überhaupt nichts. Und dann bekamen wir jeden Monat so riesige Blätter mit so, wie diese Rabattmarken, so kleine Kärtchen. Für Fleisch, war nur so ein kleines Stückchen (zeigt uns die Größe mit den Fingern, ungefähr Passbildgröße) und so ein Stückchen Butter (zeigt uns die gleiche Größe noch einmal).

Das war, glaub ich, jeden Monat diese Einteilung und dann musstest du genau überlegen, na ja, also wir ja nicht, aber unsere Eltern und so, was wir dann jeden Tag essen durften und nur durch, was weiß ich, mein Vater hat das mit Stoffen gemacht, weil der war in einer Textilfirma Betriebsleiter, der kam natürlich günstig an Stoffe ran und dann wurde getauscht. Ja, nur so konnte man natürlich etwas dazu kriegen. Nur wenn du etwas hattest und tauschen konntest, dann machtest du das dann mit dem Bauer.

Es war ja bei allen so: alle waren arm, alle hatten nichts zu essen.

Und meine Tante, das weiß ich noch. Schnibbelskuchen hat sie uns gebacken. Heute denkt man dann ja mit so richtig Fett, aber Fett gab’s damals nicht. Ja, sie hatte dann Kartoffeln durch ihre Näherei und dann hatte sie so eine Speckschwarte, ach das war aber schon toll und dann hat sie dann das bisschen Fett, was wir bekamen aufgehoben und dann nur die Pfanne eingerieben und darin dann die Schnibbelskuchen gemacht, aber die waren toll. Heute könnte man das ja gar nicht mehr essen.

 So; und was ich dann auch ganz schlimm gefunden habe war: es hieß auf einmal, stand, glaub ich, in der Tageszeitung, „Kaufhof gibt Plätzchen aus auf Gebäckmarken"; und ich war die Älteste zu Hause und ich musste dann los; und da muss man sich natürlich anstellen, ist ja klar; und dann stand ich da und da war das mit den Juden ja schon und alles, die Kristallnacht zum Beispiel, von der haben wir bei uns allerdings nichts mitbekommen in Gladbach, auf jeden Fall stand da ein Junge, der hatte den Judenstern. Die mussten den ja Judenstern tragen, den kennt ihr ja und da stand der da. Der hatte natürlich keine Lebensmittelmarken, die bekamen ja keine, wurden ja nicht versorgt; und ich kriegte meine Tüte mit Plätzchen und der Junge stand dann da und wollte auch eine haben, der war noch jünger als ich, und der kriegte aber keine und dann weinte er, daraufhin ging der weg und ich hinterher und hab dem meine Tüte Plätzchen gegeben. Das tat mir ja so leid. Das war so traurig, wie dem da die Tränen die Wangen runter liefen. Das hab ich ja ganz versteckt gemacht, das durfte ich ja eigentlich gar nicht, dem da die Plätzchen zustecken und der hatte so große Augen und hat mich angeguckt. Da war ich dann so glücklich drüber, da hätte ich lieber ein ganzes Jahr keine Plätzchen haben wollen.

Also das weiß ich noch ganz genau und dann, ich kam natürlich nach Hause und hatte keine Plätzchen und dann hab ich gelogen und hab gesagt, ich wär’ nicht mehr drangekommen. Die Schlange wär’ so lang gewesen - hätte ja sein können-, hab ich gesagt, ich hätte keine mehr mitgekriegt. Ich hab lieber dem Jungen die Plätzchen gegeben. Das hat mir so was von Leid getan. Das… ach, nee, furchtbar.

Ja, was hat man heute alles?! Ihr habt Handy und was weiß ich alles und wir hatten damals nur so einen Kasten, Volksempfänger und wir durften die feindlichen Sender nicht hören und ab und zu kriegten wir die auch und, ach wenn das Jemand gehört hätte!! Wir haben dann ganz leise eingestellt und meine Eltern haben dann die ganzen Berichte aus England und so gehört. Die sagten ja was ganz anderes als bei uns.

Das war alles, was wir hatten an Nachrichten und Zeitungen eben.

Sie haben gesagt, sie waren beim BdM. Wie war das damals als das aufkam. Haben sie direkt gesagt „Ich geh da hin." oder hat man ihnen geraten dahin zu gehen oder wie war das?

Das war so, also du musstest nicht unbedingt, aber es war besser. Mein Vater war politischer Leiter, also wir waren Nazis „bis zum geht nicht mehr", aber nicht das mit den Juden. Das haben wir nicht gewusst. Das hätten wir auch nicht gewollt. Das hätten wir nie, nie, nie gewollt. Nie, nie, nie, nie, nie, aber das glaubt uns leider keiner, aber das war so. Mein Vater war politischer Leiter und da war das klar, dass wir da rein gingen.

Ich und meine Schwester waren im BdM. Wir hatten unsere Uniformen und so schlecht war das nicht. Wunderschöne Aufführungen haben wir gemacht, viel Sport haben wir gemacht. Ich weiß noch, da hatten wir Sportfest in Gladbach und unsere Gruppe musste dann Reifengymnastik, Keulengymnastik, Ballgymnastik und so was machen. Das hatten wir natürlich alles vorher geübt. Jede Woche war ein Nachmittag, wo wir dann da zusammen kamen und immer in Uniform natürlich. Oder man ist dann irgendwo hinmarschiert. Die Uniformen das waren schwarze Faltenröckchen. Natürlich über’s Knie, da durfte kein Knie rauskommen, und weiße Blusen. Die wurden gestärkt. Die sehe ich heute noch bei uns. Meine Mutter stärkte die dann. Die Stärke wurde angerührt und Wasser drauf und dann kamen die Blusen da rein oder die Hemden und die waren dann ganz steif und da waren dann braune Lederjäckchen drauf. So ein Braun, so ein „Nazibraun" sag ich jetzt mal, so wie Leder. Dann dieses schwarze Pfadfindertuch, wie die Pfadfinder das auch hatten und der Gruß war nicht „Guten Morgen" oder „Guten Abend" das war „Heil Hitler" und ich fand das blöd, trotz allem ich war ja begeistert vom Hitler, aber dieses „Heil Hitler" fand ich blöd, nur das mussten wir. Wenn ich es nicht getan hätte, wäre ich vielleicht auch nicht gestorben, aber man hat es gemacht.

Wenn du nicht da drin warst (im BdM), wurdest du bespitzelt ohne Ende und wenn du was gesagt hast, du durftest ja nichts sagen, dann kamst du ins KZ. Da waren nicht nur die Juden drin. Da waren auch unsere Deutschen drin, je nachdem was die gemacht hatten. Ich weiß noch ganz genau: Mein Vater hat Billard gespielt, immer sonntags und da waren natürlich auch Juden - waren ja viele Juden – und fast alle Juden waren immer gut betucht. Die hatten ja auch alles an sich gerissen. Das war natürlich auch schlecht. Das muss ich sagen. Da hat mein Vater Billard gespielt und da waren dann auch einige Juden bei und er hat erst einmal weiter mit denen gespielt und mein Vater war politischer Leiter und dann kam da oft dieser Herr Stark, ich weiß es noch genau, und dann kam der und der war noch höher als politischer Leiter und da kam der und sagte „Hör mal Peter," – die duzten sich – „wenn du das nicht sein lässt, dann weißt du ja, was passiert: KZ". Meine Mutter stand dabei und die hörte zu. Die war Nazi bis zum geht nicht mehr und später als der dann weg war sagte sie dann „Peter, ach Peter, bitte tu’s doch nicht!" Ja, und dann musste der denen, mit denen er sich so gut verstanden hatte, sagen: „Ich kann mit euch nicht mehr spielen." Das war auch furchtbar für meinen Vater damals. Da hat er unglaublich drunter gelitten. Im Grunde zu sagen „Ich will mit euch nichts mehr zu tun haben!". Die haben ihm doch nichts getan. Später hat mein Vater denen einen Kronleuchter abgekauft, weil die weggingen, weiß nicht genau wohin, nach Amerika oder so, und da haben die versucht ihre Sachen zu verkaufen.

Ganz früh am Anfang des Krieges, als der Russlandfeldzug war, kriegten alle, Mutter, Oma, Kinder, die stricken konnten, Wolle zugeteilt. So ganz fiese, graue, Wolle. Dann mussten wir Strümpfe stricken, weil die Soldaten ja gefroren haben. Das hat natürlich nicht geholfen – das wäre ja Quatsch -, aber Strümpfe haben wir gestrickt. Massenweise. Ob die Jungens die überhaupt gekriegt haben, weiß ich nicht.

Dann wurden wir aufgefordert, das war alles noch vor meinem Arbeitsdienst, die Soldaten in den Lazaretten zu besuchen. Natürlich brachte man denen dann was mit. Ja, das war natürlich auch interessant. Das war kein direktes Muss, aber das wurde uns empfohlen zu tun und dann waren die Soldaten natürlich…, da kamen dann die jungen Mädchen an. Das war natürlich was für die, aber die waren ja krank. (schmunzelt)

Da war eine Zeit, da hieß es wir sollten den Soldaten schreiben, damit die im Feld Post bekamen und da haben wir irgendwo hingeschrieben. Da weiß ich auch nicht mehr wie das gelaufen ist, aber da habe ich dann von diesem netten Mann hier (zeigt uns das Photo) Feldpost bekommen und eines Tages hat er dann geschrieben, dass er geheiratet hat. Fand ich natürlich doof! Da hab ich die Bilder…, also das hier hab ich ja noch…

1943 bin ich dann zum Arbeitsdienst eingezogen worden, da bin ich dann nach Ober-Schlesien gekommen, dass war also weit weg von zu Hause. Das war an sich sehr schön (schwärmt). Ach, ich bin so gern dahin gegangen, ich war so glücklich. Das war nämlich so, wir waren vier Kinder und mein Vater hatte versucht mich freizustellen, dass ich wegen der vielen Kinder nicht in den Arbeitsdienst musste. Aber das hat nichts genutzt und ich war glücklich (lacht). Das hab ich meiner Mutter natürlich nicht gesagt, aber ich war richtig glücklich.

Das Arbeitsdienstlager war ein wunderschönes, sauberes Haus. Da waren wir untergebracht.

Das war unsere alltägliche Uniform, ein knallblaues – so wie die Jeans – Kleid, dann da eine weiße Schürze drauf, weiße Socken, ach, und das wurde jeden Tag kontrolliert, dass waren so „Liebestöter", wir mussten ja auch die Unterwäsche von da tragen. Über diese Unterwäsche, und da drüber, dass fand ich furchtbar, das war eine Hose, innen aufgeraut und außen glatt, auch in hellblau, dann waren da so lange Beine dran, die gingen dann bis zum Knie, da war dann so schön Gummi durchgezogen (seufzt). Damit wir schön warm waren…

Und hier die Nadel kann man noch sehen (zeigt auf das Foto).

Wir hatten auf den Zimmern Etagenbetten, wir waren immer mit vier Doppelbetten auf einem Zimmer.

 

Und das war der Bauer, morgens mussten wir mit dem Rad zu dem Bauern wo wir also zugeteilt waren hinfahren. Da mussten wir fies arbeiten. Das war furchtbar (schmunzelt).

Da bekam jeder ein Fahrrad, und ich musste als erstes wenn ich beim Bauern ankam, fiese Bauern waren das, musste ich die Kühe zur Weide bringen. Ach das fand ich ganz gut. Dann waren wir mit dem Bauern auf dem Feld. Da musste ich natürlich feste mit ran.

Das Schlimmste, was ich fand, war das Mittagsessen. Wir sollten eigentlich nicht mit am Tisch sitzen, wir sollten extra sitzen, aber ich hab da mit am Tisch gesessen, die haben gar keine Anstalten gemacht mich alleine irgendwo hinzusetzen. Die hatten so eine große Schüssel und dann war da irgendwas drin. Die hatten Löffel, oder ne Gabel, und dann saßen wir da mit 6 oder 7 Leuten um diese eine Schüssel, da wurde dann draus gegessen.

Was ich dann auch da machen musste, war die Böden schrubben, Bretter, wie so Latten und die mussten einmal in der Woche geschrubbt werden. Das musste ich machen als Arbeitsdienstmaid. Kam ich nicht dran vorbei (lacht). (Foto von Baldur von Schirach) Das ist der Reichsjugendführer (zeigt uns das Photo). Also der war auch für den Arbeitsdienst zuständig und der hat uns da besucht.

Im Arbeitsdienst waren aber auch schöne Zeiten, dann haben wir auch gefeiert.

Das war auch im Arbeitsdienst (zeigt ein Photo). Oh, da hab ich ganz schlimm Bescheid für bekommen. Aber da war ich noch mit anderen unterwegs; das hab ich nicht allein gemacht. Wir hatten so ein paar zivile Sachen, mit denen wir auch angekommen sind und dann hatte ich meine Bluse so zusammengeknotet und ein Turnhöschen an; - Wir hatten ja nicht so tolle Sachen wie’s die heute gibt.- und dann hatten wir frei, Ausgang und da sind wir da, wo das Arbeitsdienstlager war, an einen See schwimmen gegangen. Deshalb der Badeanzug. Und da sind wir nicht pünktlich nach Hause gekommen. Ich seh’ die Arbeitsdienstführerin noch vor mir stehen. „Wo wart ihr?" (Sie macht die Führerin nach und spricht in einem herrischen Ton) „Ja…" „Wer war da alles?!" „Ja" ich sagte „Ja, da waren junge Männer, die haben mit uns gesprochen." „Wie heißen die??" „Ja" ich sagte „ich weiß nicht." „Ja, das ist ja die Höhe!! Da unterhaltet ihr euch mit Männern und wisst noch nicht einmal wie die heißen!" (wettert die Aussage der Führerin richtig). So ein Quatsch. Die hatten wir da gerade kennen gelernt, die waren da auch. Ja, wie das so ist. Kennt ihr ja. Da haben wir auch nicht nach den Namen gefragt. Haben uns ja auch nicht vorgestellt.

Was ich aber noch tun musste, was nicht so toll war, das war das Torfstechen, das war grausam. Da brachten die mich in den Wald mit Pferdewagen und ließen mich alleine dort. Da waren so Stücke Felder wo  dieser Torf war. Die ließen mich alleine und dann hab ich ein bisschen gestochen. Das war so furchtbar. Ich hab mich dann da an der Rand gesetzt und nichts getan (lacht). Ich wusste ja, wann die mich wieder abholen kamen und dann war ich wieder kräftig am Torfstechen.

Einmal durfte ich in Urlaub, während des Arbeitsdienstes, da durfte ich nach Hause fahren. Ich musste auch die Uniform und natürlich die „Liebestöter" anziehen. Ein verlängertes Wochenende, nicht lange nur ein paar Tage. Ich kam morgens früh in Köln an, da war in der Nacht ein Angriff gewesen, aber Kinder das könnt ihr euch nicht vorstellen. Am Bahnhof bin ich angekommen und es gingen keine Züge mehr, nichts mehr. Rechts und links die Straßen nur Rauch, Feuer und alles war kaputt, restlos kaputt. Im Arbeitsdienstlager gab es insofern keine Angriffe, da es ein ganz kleiner Ort war.

Jetzt standen wir alle da und ich musste ja nach Mönchengladbach, dann haben wir uns gefragt, wie wir jetzt dort hinkommen sollten. Dann hat irgendein älterer Herr einen Jeep angehalten und hat mich darein verfrachtet und er selbst ist auch eingestiegen. Dann haben die Soldaten mich in Mönchengladbach abgesetzt.

Im Anschluss an den Arbeitsdienst kamen wir nach Cottbus in den Kriegshilfsdienst. Da war ein großer Flughafen, dort wurden wir dann eingeteilt für die ME104. Die Flugzeuge wurden dort gebaut und auch eingeflogen. Ich musste einzelne Teile in den Motor einbauen. Ich hatte daran auch Spaß und der Ingenieur meinte auch, dass ich das gut machte.

Das hab ich ganz gern gemacht, da waren auch alles nette Männer (lacht). Ja da hatte ich nix mit, aber so freundschaftlich. Die waren nett zu uns, wir mussten da auch nicht all zu viel machen.

Das hier ist das Gruppenbild, auf dem Flughafen vom Arbeitsdienst, da stehen wir alle zusammen, wir Kriegshilfsdienstmaiden mit den beiden Führerrinnen der Gruppe. Dort lebten wir in Baracken, da liefen sogar Ratten rum, die liefen über unsere Betten.

Was lustig war, also eigentlich war das nicht lustig, aber na ja, jedenfalls als wir dann in den Kriegshilfsdienst kamen und unsere Baracken oder Zimmer zugeteilt bekamen, danach hieß es dann Antreten zum Schützengrabenbauen und dann gingen wir aus dem Flughafengelände raus über Feld, Feld und Feld und haben dann angefangen zu bauen. Da gab’s keine Luftschutzkeller oder so was, da mussten wir dann raus und in diese Gräben rein.

Da haben wir auch tüchtig Spaß gekriegt, als wir dann die Gräben bauten, in die wir auch rein mussten.

Also da kann ich mich noch dran erinnern: Wir hatten einen ganz furchtbaren Angriff und da kamen Flugzeuge. Eins nach dem anderen, aber ich hab immer ab und zu meinen Kopf raus getan, um zu gucken. Ich hab sie ja nicht gezählt, aber das waren unwahrscheinlich viele und da fielen die Bomben nur so, eine Bombe an die Andere fielen die da hinunter, aber nicht auf unseren Flughafen. Den hatten sie nicht gepackt. Immer nur auf irgendein anderes Gebiet und das war auch die Angst „Jetzt kommen die herüber. Jetzt." Da hätten unsere Gräben auch nichts mehr geholfen, aber die waren sicher vor den Splittern, die so rum flogen. Ja, also das Bauen schon von den Schützengräben das war schon lustig. Aber so war die Jugend.

Die Flugzeuge wurden auch am Flughafen eingeflogen. Da habe ich einen sehr netten Einflieger kennen gelernt, wir gingen alle in eine Kantine, die Arbeitsmaiden und die Piloten. Es gab meisten Steckrüben. Wenn ich das heute höre, wird mir immer noch schlecht, dass konnte ich einfach nicht essen. Ein Pilot ging einige Zeit mit mir, der ist aber nachher abgestürzt, der kam dann auf einmal nicht mehr und dann hörte ich, dass er abgestürzt sei. Man bekam so eine Schüssel, da war ein dünnes Stückchen Speck drauf, dieser Einflieger hat mir dann seinen Speck gegeben und der hat meine Schüssel mit den Steckrüben gegessen, der mochte das. Dann war ich natürlich froh, das ist mir mehrere Male passiert, bis er dann gefallen ist.

Wie war das denn so vom Gefühl her, wenn man dann so mitbekam so der ist gefallen und der und der auch…?

Das waren viele. Viele. Schräg gegenüber von uns. Die hatten zwei Mädchen und drei Jungs und der Vater war auch noch jung. Der wurde auch noch eingezogen und der ist gefallen und die drei Jungens.

Und wie war das für Sie, wenn Sie das so erfahren haben?

Ja, schlimm, schlimm. Da war ich natürlich traurig zunächst einmal, aber durch die schlimmen Ereignisse immer, wurde man natürlich auch sehr stark abgelenkt und wir waren ja auch noch sehr jung. Ich weiß auch nicht, das hat man dann alles durch die Ereignisse weg geschoben.

Als ich entlassen wurde aus dem Kriegshilfsdienst – es gab ja Arbeitsdienst und direkt dahinter Kriegshilfsdienst, das war ein Jahr -, musste ich mich ja hier anmelden, also damals noch in Gladbach.

Ja, was mir dann noch einfällt: Wir hatten dann diese großen, russischen Frontarbeiter. Die waren von Hitler hierhin geholt worden, um hier zu arbeiten. Vater hatte da auch welche und die beiden kamen nachher zu uns nach Hause und haben ein bisschen geputzt und so. Das durften wir eigentlich nicht. Die waren nett.

Gab es denn überall wirklich diese Plakate von wegen „Swing-Tanzen" verboten?

Nö, weiß ich nicht.

Das hieß bei uns Budenzauber. Wie hier vielleicht Disko oder so. Das hieß bei uns Budenzauber. Oder Hausball, wenn man zu Hause feierte. Party gab es ja auch nicht.

Was für hat man eigentlich Musik gehört?

Trallalla…. (lacht) Was ihr heute furchtbar findet. Ja, was hat man da…

Marschlieder, Hoch die Fahne. Ja, Marschlieder, natürlich Opern und Operetten. Ja und zum tanzen: Walzer, langsamer Walzer, Foxtrott, Tango. Das waren die Tänze früher, aber schön.

(holt ihre alten Briefe aus dem Umschlag)

Zu diesem netten Mann, da hab ich auch kein Photo von, hab ich später auch keine Verbindung mehr mit gehabt. War ich sehr traurig drüber. Schöne Schrift hat der, schreibt auch richtig. Das war nach meinem Arbeitsdienst. Da waren wir schon evakuiert in Neustadt und dann fuhr ich aber nach hier zu meiner Tante und da hatten die oben auf dem Speicher Panzersoldaten einquartiert und da war einer, der hatte mich dann geangelt und der Panzer von ihm, er war Panzerfahrer, stand direkt vor dem Haus. Da hab ich gesagt, da möchte ich mal rein. Das war der letzte der produziert wurde für den Krieg. Der hieß Königstiger und den wollte ich dann auch mal von innen sehen. Dann hat er mich dann abends mal mit darein genommen. Darüber ist dann die Nacht vergangen. Aber nichts da, was ihr denkt. Nur geknutscht und so, aber das war der erste Mann, der mich mal richtig geküsst hat. In den war ich verliebt. Wir haben uns nur 3 Tage gesehen und dann musste ich wieder weg, zurück nach Gladbach und es fuhr kein Zug und dann ist er mit mir bis zur Ecke gegangen, er blieb ja noch hier, hat einen Militärwagen angehalten und die Soldaten haben mich dann mitgenommen. Das war damals ja so.

Und der hat mir immer wieder geschrieben und dann hat er geschrieben, er warte auf Post und würde keine bekommen und dann war es dann so, dass ich dann nicht mehr geschrieben habe und er auch nicht mehr, war wahrscheinlich beleidigt. Und was soll ich euch sagen, ich war gerade verheiratet, da kommt der hier an, der war aus Leipzig, da stand der hier bei meiner Tante vor der Tür und die hat ihn dann nur ganz kurz empfangen und dann gesagt, er sollte lieber wieder gehen oder fahren, ich sei verheiratet. Damals wohnte ich in Düsseldorf. Da muss ich ehrlich sagen, da war ich traurig, also dass ich dann schon verheiratet war und der kam. Der hätte ja früher kommen können, der Blödmann.

Ein Soldat, mit dem ich Briefkontakt hatte, auch ein Verehrer oder einer, der es werden wollte, ist an der Front gefallen. Der kam hier aus Jüchen. Der war irgendwo hier in Deutschland stationiert und dann schreibt er in seinem letzten Brief „Ich freue mich endlich an die Front zu kommen und nicht nur hier…." Kommt an die Front und fällt.

 

Die waren sicher froh, endlich etwas tun zu können und nicht nur rum zu sitzen.

Ach, die waren doch begeistert. Er war auch ein Offizier oder so was.

Ja, meinst du, wenn die nicht begeistert gewesen wären, hätten die so ins Feld ziehen können?

Was ich aber noch überhaupt nicht verstanden habe, war im Mai `41. Der Stellvertreter vom Hitler, Rudolph Hess, hat sich damals nach England abgesetzt. Der ist also dahingeflogen bei Nacht und Nebel, um mit den Engländer zu verhandeln, dass die Schluss machen mit dem Krieg. Also dass die auf irgendwelche Verhandlungen eingehen, was die aber nicht gemacht haben, aber Hitler hat da total drauf geschimpft und wollte den gar nicht mehr sehen. Aber der wollte doch helfen. Das hab ich nicht verstanden. Der wollte doch helfen, aber der Hitler wollte das ja nicht. Der wollte ja nicht einlenken.

Wo wir gerade von Engländern reden, fällt mir auch noch was ein:

In der Zeit in der die Engländer und Amerikaner angriffen, und diese Christbäume setzten, dann war alles taghell.

Was auch schlimm war, waren die Tiefflieger. Ich bin mal angegriffen worden, da bin ich mit meinem kleinen Bruder über die Straße gegangen, er fuhr mit dem Roller, und dann kamen die Tiefflieger, und wir haben uns hingeschmissen.

Wie alt war Ihr kleiner Bruder?

9, 10 Jahre war er alt, aber die Tiefflieger haben nicht auf uns geschossen. Das war auch schlimm, wenn die so kamen.

Da die Züge meist nicht fuhren, war ich auf einer Landstraße unterwegs, da habe ich mich auch in einen Graben schmeißen müssen. Die haben mich bestimmt nicht gesehen, oder wollten mich auch nicht treffen.

Haben Sie damals etwas mitbekommen, was den Widerstand betrifft?! Heute sind einem die Edelweißpiraten oder vor allem die Weiße Rose ein Begriff. Hat man so etwas damals mitgekriegt?

Nein, bei uns gab es das nicht. Nein, gar nicht. Man hat auch nichts gehört, dass es so was irgendwo gab. Das hat man hier gar nicht mitbekommen.

Hat man denn irgendwas mitbekommen von wegen Nachbarschaft, dass halt jemand ins KZ gekommen ist, weil er Widerstand geleistet hat?

In unserer Nähe weiß ich nicht. Wohl einige gefallen, aber KZ weiß ich nicht. Ich kannte die Leute ja auch nicht so. Mein Vater hat dann gesagt, der ist ins KZ gekommen, der hat das und das getan, aber wer das dann war, das weiß ich ja auch nicht mehr.

Können Sie sich noch erinnern, was diese Leute so getan haben?

Ja, das Regime nicht anerkannt. Die haben sich widersetzt. Haben gesagt „Das mach ich nicht mit!" Haben sich geweigert den Hitler-Gruß zu machen oder gesagt „Ich wähle nicht!".

Wählen zum Beispiel: es gab nur ja oder nein. Nicht wie heute mit CDU und SPD und so was alles. Das gab es nicht. Nur ja oder nein. An die Wahlzettel kann ich mich noch genau erinnern. Ich musste nicht wählen. Man musste ja erst ab 21, aber meine Mutter und mein Vater. Ja, auf den Zetteln war nur ein kleines „j“ für ja und da musste man dann ein Kreuzchen machen und wenn nein… ja, dann…

War das denn anonym oder mit Namen?

Nein, der Name stand drauf. Man musste wählen. Man konnte „nein“ wählen, aber man musste wählen und wenn man „nein“ gewählt hatte stand man auf der schwarzen Liste und schon unter Beobachtung.

Die politischen Leiter, wie mein Vater einer war, die wussten auch ihre Leute, ihre Leute, die da nicht mitmachten. Die kannten die alle.

Sie haben ja gesagt, ihre Eltern waren Nazis. Haben die denn auch gesagt, wenn sie gehört haben, dass bestimmte Leute das nicht unterstützt haben „Die sind doch verrückt!" oder so was?

Ja, wahrscheinlich. Ja, das glaub ich schon. Mein Vater war sehr begeistert.

Meinen sie denn die hätten die gerichtet? So nach dem Motto „Du willst da jetzt nicht mitmachen, dann…"

Nein, mein Vater wäre nie hingegangen und hätte jemanden angezeigt. Das hätte der nie gemacht. So weit ist er nicht gegangen. Mein Vater kannte die Leute, aber der hat nie von sich aus was getan. Mein Vater hat für diese Partei seine ganze Freizeit geopfert und der hat auch sein Leben eingesetzt. Ich weiß noch genau, bevor ich damals zum Arbeitsdienst gegangen bin, wurden da Brandbomben in Häuser geworfen und dann hat der geholfen, Leute zu retten und all so was. Das hat der gemacht, aber nachher war der davon auch nicht mehr begeistert. Der 20. Juli, da kam ich glaub ich aus dem Arbeitsdienst raus. 20. Juli, wo die Generäle den Hitler ermorden wollten (mit Stauffenberg), was aber nicht geklappt hat und da weiß ich, da kam ich aus dem Arbeitsdienst und da stand überall mitten auf den Straßen auf den Pflastern mit weißer Farbe 20. Juli, 20. Juli. Ich wusste ja gar nicht was das sollte. Das haben wir im Arbeitsdienst gar nicht mitbekommen. Hitler und das alles hat uns ja auch gar nicht interessiert. Mein Vater hat mir das dann erklärt, wie das war und da, spätestens da hat mein Vater gesagt, also vorsichtig, wäre besser gewesen, wenn das geklappt hätte. Ich hab mir da damals nichts bei gedacht, aber heute denke ich mir, da hat er schon gewusst, dass das alles nicht richtig war, was der Hitler da gemacht hat.