Zunächst eine Bemerkung dazu, wie dieses "Argument" verwendet wird: Da Wissen nur dann schuldig macht, wenn es zu keinerlei Handlungen führt, wird darauf rekurriert, dass die Alliierten nichts gegen den nationalsozialistischen Völkermord unternahmen. Impliziert wird auf diese Weise der Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung bzw. der aktiven Bejahung. So soll die Schuld von Nazi-Deutschland genommen oder zumindest aufgeteilt werden.

Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass Kenntnisse über den Holocaust bestanden, zumindest in den Regierungskreisen der Alliierten. Jedoch war es anfangs noch nicht möglich, Angaben zu überprüfen. Umfangreiches Bild- und Filmmaterial hat die Alliierten erst im letzten Kriegsjahr erreicht.

Das Wissen der westlichen Bevölkerungen um den Mord an den europäische Juden kann als äußerst gering eingeschätzt werden. Exemplarisch sei hier auf das Verhalten der BBC verwiesen, die sich noch im April 1945 weigerte, den Bericht eines ihrer Mitarbeiter zu senden, der an der Befreiung des KZ Dachau teilgenommen hatte, weil sie ihn als reine Gräuelpropaganda zurückwies. Erst nach mehreren Anläufen erhielt der Korrespondent die Sendeerlaubnis. Weil er aber selbst fürchtete, sein Bericht könne als übertrieben zurückgewiesen werden, bat er seine Hörer: "Ich beschwöre sie zu glauben, was ich gesagt habe."

Weder die Juden in Westeuropa noch die Alliierten haben vorausgesehen, was die Nazis mit den Juden vorhatten. Das heißt, die rettende Auswanderung wurde von den Juden selbst oft solange hinausgezögert, bis es zu spät war, verständlicherweise, denn sie hatten eine Heimat zu verlieren. Die rettende Auswanderung wurde aber auch durch engstirnige strikte Einwanderungsregeln der Haupteinreiseländer USA und England zum Teil sehr eingeschränkt, trotz einiger Initiativen wurde wegen "Aufnahmekapazitäten" und "politischen Erwägungen" daran nichts geändert. So konnten aus "Großdeutschland" insgesamt nur knapp 500.000 Juden emigrieren. Ab 1941 war es nicht mehr möglich, der angelaufenen deutschen Vernichtungsmaschinerie zu entkommen.

Das englische Militär hatte den Funkcode der Deutschen bald nach dem Überfall auf die Sowjetunion entschlüsselt und war über das Morden der Einsatzkommandos relativ genau informiert.

Ab Sommer 1942 begannen auch Nachrichten über den Massenmord in den KZs zu den Westmächten durchzudringen und sich nach und nach zu häufen. Aber es gab keine systematische Auswertung, die Nachrichten wurden falsch bewertet oder gar aus politischen Erwägungen unterdrückt.

Allerdings brauchten die Nachrichten manchmal auch sehr lange, bis sie z.B. in den USA ankamen, und oft waren sie auch mit Gerüchten versetzt. Deswegen schienen auch die Führer jüdischer Organisationen in den USA noch Ende 1942 den Ernst der Lage nicht realisieren zu können. Sie forderten von Roosevelt, die Nazis nur zu verwarnen und eine Kommission einzurichten. Lange Zeit blieb es bei hilflosen Erklärungen und halbherzigen diplomatischen Initiativen. Erst Anfang 1944 wurde mit dem War Refugee Board in den USA eine zentrale Stelle für den Holocaust geschaffen. Nun hatte die amerikanische Regierung plötzlich reichlich Informationen.

Ab April 1944 war Auschwitz von Italien aus für Luftstreitkräfte der Westalliierten erreichbar geworden. Nachdem die IG-Farben-Betriebe (Auschwitz III) per Luftaufnahmen erkundet waren, gab es dort 1944 Luftangriffe auf das Industriegebiet Auschwitz und auf Ölanlagen in der Nähe. Wichtige Gleisanlagen für das KZ Auschwitz wurden dabei überflogen. Trotzdem wurde von den Militärs wegen übergroßer technischer Schwierigkeiten eine Bombardierung des Lagers Auschwitz bzw. der Gleisanlagen "unter den gegenwärtigen Umständen" abgelehnt. Außerdem würde eine beträchtliche Abzweigung der Luftunterstützung möglicherweise den Erfolg der jetzt in entscheidenden Einsätzen operierenden alliierten Streitkräfte gefährden. Damit befanden sich die Militärs in England und in den USA im Gegensatz zu der politischen Führung. Sowohl Churchill als auch Roosevelt hatten Hilfe grundsätzlich befürwortet. Das Militär hatte die Durchführbarkeit dieser Einsätze nie ernsthaft geprüft, man hatte einfach Angst, dass militärische Kräfte für Rettungsaktionen abgezogen würden. Es blieb den Bodentruppen während der regulären Kampfaktionen überlassen, die KZs zu befreien, soweit die Nazis sie nicht schon aufgegeben hatten.

Bevor man aber den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung erhebt, sollte man wirklich bedenken: Kann denn tatsächlich ausgeblendet werden, dass sich die Alliierten immerhin in einem Weltkrieg mit bislang nicht gekannten Ausmaßen befanden? Ein Sieg gegen Hitler bedeutete doch auch ein Ende des Holocaust. "Zuerst siegen" hieß die Doktrin der Alliierten.

Natürlich wird auch von nichtrevisionistischen Kreisen kritisiert, dass man mehr hätte tun können. In jedem Fall sollte jedoch bedacht werden, dass alle beteiligten Nationen bis zum äußersten durch den Krieg belastet waren. Die oft pathetisch vorgebrachte Anklage, die Alliierten hätten nicht einmal Luftangriffe gegen die KZs oder die Bahnverbindungen dorthin unternommen, wird nur teilweise zu Recht erhoben: Es hat derartige Luftangriffe auch von sowjetischer Seite gegeben. Aufzeichnungen ehemaliger KZ-Häftlinge berichten von diesen Angriffen.

Die folgende Quelle wird oftmals in leicht verfälschter Form durch revisionistische Autoren benutzt. Aus diesem Grund hier der echte, vollständige Wortlaut. Notiz aus dem Kriegsministerium mit Schreiben McCloy an Pehle (War Refugee Board) vom 3./4.7.1944:

"a) Memorandum für Mr. McCloy:

Ich weiß, daß Sie mir gesagt haben, diese Angelegenheit abzuwürgen (kill), aber seit dieser Anordnung haben wir den beiliegenden Brief von Mr. Pehle erhalten. [Dort wird die Bombardierung der Eisenbahnknotenpunkte bei Kashau und Pressov - d.h. Auschwitz - verlangt.]

Ich schlage vor, die beiliegende Antwort zu senden.

b) Ich komme auf Ihren Brief vom 29. Juni zurück, der ein Telegramm Ihres Vertreters in Bern, Schweiz, enthält, in dem vorgeschlagen wird, bestimmte Abschnitte der Eisenbahnlinien zwischen Ungarn und Polen zu bombardieren, um den Transport der Juden aus Ungarn zu unterbrechen.

Das Kriegsministerium ist der Meinung, daß die vorgeschlagene Luftoperation nicht durchführbar ist. Sie könnte nur durchgeführt werden, wenn bedeutendere Luftunterstützung abgezweigt würde, die unabdingbar für den Erfolg unserer Streitkräfte in ihren jetzigen entscheidenden Operationen ist, und das wäre auf jeden Fall von so zweifelhaftem Wert, daß es nicht als durchführbares Projekt in Frage kommt.

Das Kriegsministerium schätzt die humanitären Motive, die die vorgeschlagene Operation veranlaßt haben, aber aus obengenannten Gründen erscheint die vorgeschlagene Aktion nicht gerechtfertigt."

Man kann Fehleinschätzungen, Ignoranz, diplomatisches Bürokraten-Denken oder politische Unbeweglichkeit der Alliierten kritisieren, aber ihnen eine zustimmende Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik vorzuwerfen entbehrt jeder Grundlage. Der folgende Brief Churchills an Roosevelt dürfte die Lage und Einstellung der Hitlergegner charakterisieren.

Brief Churchills an Roosevelt (30.6.1943):

"Der Bedarf an Hilfe für die Flüchtlinge - besonders jüdische Flüchtlinge - ist nicht weniger gewachsen, seit wir diese Frage besprochen haben, und alle möglichen Fluchtwege müssen offengehalten werden. Nordafrika ist von diesen noch der praktikabelste, und ich hoffe, daß die Schwierigkeiten mit dem dort geplanten Flüchtlingslager jetzt beseitigt sind und daß eine baldige praktische Entscheidung jetzt möglich ist. Unsere Möglichkeiten, den Opfern von Hitlers antijüdischem Feldzug sofort zu helfen, sind momentan so eingeschränkt, daß die Eröffnung eines kleinen Lagers zu dem Zwecke, einige von ihnen in Sicherheit zu bringen, uns schon drückend erscheint, und ich wäre dankbar, wenn Sie mich wissen lassen könnten, ob man es für möglich hält, diesen Plan in Gang zu setzen. General Giraud [damals mit General de Gaulle Chef des französischen bewaffneten Widerstandes] hat dem Projekt seine grundsätzliche Zustimmung gegeben."

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