Die Gefahr der Gehorsamkeit
 
     
 

Über die Gefahr der Gehorsamkeit

müsse man sprechen, so antwortet ein ehemaliger Häftling von Auschwitz auf die Frage, wer nach seiner Meinung Schuld an den Gräueltaten sei. Auch von anderen, Opfern und Tätern gleichermaßen, wurden ähnliche Thesen über die Ursache all dessen, was in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern geschah, formuliert.

In den 60ern und Anfang der 70er Jahre gab es zwei bedeutende Versuche zu dieser Problematik aus den Reihen der Psychologie. Gemeint sind die Experimente von den Psychologen Stanley Milgram und Philip G. Zimbardo. Diese versuchten die Ursache, die Folgen und die Umstände der Gehorsam gegenüber Autoritäten darzulegen

Milgrams Versuch von 1963 basiert auf der Fragestellung, ob und wie sehr Menschen durch Autoritäten zur Missachtung des eigenen Willens, des eigenen Moralempfindens und der allgemeinen Ethik gebracht werden können. So ließ er von willkürlich ausgewählten Personen die falschen Antworten eines eingeweihten Opfers mit vermeintlichen Stromstößen bestrafen. Dabei führte jede falsche Antwort zu einer Steigerung der Stromstärke.
60% der Studenten verabreichten dem Opfer die maximale Stromstärke von 450 Volt – im Normalfall tödlich.

Der Versuch von Zimbardo war von der Konzeption her „humaner“, wenn er auch in der Praxis einen weitaus schlimmeren Verlauf nahm. Zimbardo teilte eine Gruppe von Studenten in Gefängniswärter und Gefangene mit sich selbst als Gefängnisleiter ein und simulierte den kompletten Gefängnisalltag. Das Experiment wurde jedoch abgebrochen, weil schon nach nur wenigen Tagen die Wärter ihre Macht ausnutzten und die Gefangenen auf menschenunwürdigste Weise behandelten.

Beide Psychologen versuchten also, mögliche Aspekte des breiten Spektrums von Ursache und Wirkung von Autoritäten und der Gehorsamkeit ihnen gegenüber darzulegen. Natürlich gelang es keinem der Wissenschaftler, etwas entscheidend Neues aufzuwerfen, das noch nicht in umfassendem Maße diskutiert wurde. Schließlich ist Gehorsam so alt wie die Menschheit und wurde in jeder historischen Epoche thematisiert.

Sicherlich ist Gehorsamkeit eine Notwendigkeit einer jeden Gesellschaft, doch waren die Folgen noch nie so extrem wie in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus. Ohne die unhinterfragte Bereitschaft zum blinden Gehorsam wäre es nie in solchem Ausmaß zu diesen grausamen Verbrechen gekommen, für die Auschwitz als Symbol gilt. Man kann über die Pflicht zum Gehorsam wie auch über die Grenzen des Gehorsams Diskurse abhalten und sogar gewisse Regeln ableiten und zu universalen Gültigkeiten gelangen – angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen versagt jedoch jede Erklärung.

Auschwitz bleibt Synonym für die Unaussprechlichkeit, Ungeheuerlichkeit, auch Unüberbietbarkeit des Grausamen. Doch auch nach Auschwitz gibt es Grausamkeiten, die aus unreflektiertem Gehorsam resultieren. Das Geschehen im Irak ist nur eines von vielen, häufig weniger populären Beispielen.

Genau hier liegt eines der Probleme im Zusammenhang mit der Gehorsamkeit. Sie ist nämlich gerade nichts Großspuriges, nichts, was nur in großem Maßstab, mit verheerenden, offensichtlichen Folgen daherkommt. Ihren eindeutigen Charakter zeigt sie vielmehr in kleinen, unauffälligen, ja alltäglichen Situationen. Denn jeder Mensch, der auf Befehl eines Dritten handelt und diesen Befehl ausführt, ohne ihn in ethischer, moralischer Hinsicht und auf der Basis seines eigenen Willens hinterfragt zu haben, verhält sich gehorsam dem Dritten gegenüber.

Somit offenbart sich der dialektische Charakter der Gehorsamkeit: Sie kann staatstragend sein, dem menschlichen Zusammenleben förderlich. Sie kann aber auch gefährlich sein und wird damit nicht nur zum Handlanger des Mordens, sondern zum Mörder selbst, der sich obendrein keiner Schuld bewusst ist.

Ich werde nun an dieser Stelle aufhören, weiter über die Aussage des Häftlings oder die Gehorsamkeit im Allgemeinen zu reden, in der Hoffnung, dass die Intention dieses Textes Erfolg haben wird. Ich habe versucht, dieses Thema anzuschneiden, wohl wissend, dass ich es nicht vernünftig beenden werde. Es geht mir darum, eine Auseinandersetzung mit diesem Thema beim Leser zu erreichen, sei es auch nur dadurch, dass er sich an meinem Text stört. Denn dann kann ich hoffen, dass auch nächstes eintritt: Dass im Leser der Drang erweckt wird, sich intensiver mit dieser ganzen Thematik zu beschäftigen.
Vielleicht folgt daraus sogar Bewusstsein.
 
Vorwort
Auschwitz – Daten
Auschwitz – Leben und Sterben in der Hölle
Ist Rassismus menschlich?
Rassismus und die neue Generation
Rassismus unter Jugendlichen
Die Gefahr der Gehorsamkeit
Folter im Irak und Gehorsamkeit
Thesen zu Auschwitz
Spaghetti für zwei?
Nachwort
Impressum