Die Nachfahren in der Bundesrepublik sind auch Opfer? 
Sonst hat man immer gedacht, dass Opfer nur dann welche sind, wenn sie aktiv von den Tätern bedroht, schikaniert, etc. worden sind. Doch erbt hier auch ein Nachfahre etwas: Es ist nicht nur das eigentliche Opfer, das seine Nachteile auf seine Kinder quasi überträgt. Auch die Nachfahren der Täter haben gewisse Nachteile. Als Beweis gilt hier nun ein Teil jener Rede Schlinks, die entstanden ist anlässlich der Verleihung des Fallada- Preises der Stadt Neumünster im Jahr 1997. 



"...Es war die Schuld derer, die die Verbrechen des Dritten Reiches begangen haben, wie auch derer , die zugesehen haben und nicht eingeschritten sind oder überhaupt weggeschaut haben. Die Rechtsgeschichte lehrt uns, wie Schuld sogar die verstrickt, die nicht einmal Zeugen der Verbrechen waren. In den frühen Stammeskulturen hatte, wenn ein Angehöriger einer Gemeinschaft gegenüber einem Angehörigen einer anderen Gemeinschaft ein Verbrechen beging, seine Gemeinschaft die Wahl, ihn auszustoßen oder ihn bei sich zu behalten. Behielt sie ihn bei sich, gewährte sie ihm Solidarität, dann teilte sie auch seine Schuld, übernahm gegenüber der anderen Gemeinschaft Verantwortung und Haftung. Solidargemeinschaft ist auch Schuldgemeinschaft.
Ähnlich haben die Deutschen, die die Täter der ersten Generation nicht ausgestoßen, sondern als Mitbürger Politiker, Administratoren, Richter, Professoren, Lehrer und Eltern akzeptiert haben, an denen Schuld teilgehabt. Darum ging es 1968: Die zweite Generation realisierte, wie verstrickt sie in die Schuld der ersten war, und versuchte, sich aus der Verstrickung zu befreien durch wenigstens ein moralisches Anklagen, Verurteilen und Ausstoßen der Täter, Mittäter und Zuschauer der ersten Generation. Anders als die erste und zweite Generation Gerade weil kollektive schuld nichts Spekulatives ist, sondern ihre empirischen und normativen Bedingungen hat und verschiedene Menschen und Generationen durch das verbindet, was sie tun und lassen, kann der Schuldzusammenhang enden..."


Das Dritte Reich beging Taten von unvorstellbarem Ausmaß. Es starben viele Millionen Menschen, Frauen wurden zu Witwen, Kinder zu Waisen. Familien verloren alles, was sie hatten .... und die darauffolgende Republik, die 1990 vereinigt wurde, erbte das "Image", dass ihre Vorgänger sich erarbeitet haben. 
Schlink beschreibt im Groben und Ganzen die Übertragung der Schuld innerhalb eine Gemeinschaft. Als Gemeinschaft wird nun Deutschland genannt. Schuld wird in einer Gemeinschaft übertragen, wenn die Täter oder die Schuldigen aufgenommen werden und sich die Mitglieder dieser Gemeinschaft solidarisch mit eben diesen Personen verhalten, überträgt sich die Moral praktisch auch mit ihnen und der wichtigste Bestandteil dieser Moral die Schuld. Es gibt viele Beispiele der heutigen Zeit, es kann sein, dass meine Kritik nun ausschweift, aber die Wagners waren sehr gute Freunde von Hitler und nun lebt dieselbe Familie "frei" im selben Land, aus dem die Verbrechen kamen. Im Majdanek- Prozess wurde Hermine Ryan zu 15 Jahren Haft verurteilt (wurde dann noch reduziert), doch sie lebte zuvor noch kurze Zeit in Österreich, auch in "Freiheit". Zum Hermine Ryan wird man aber gleich nochmal kommen. 
Wie man sieht, überträgt sich die Schuld also eher passiv auf die Nachfahren, sofern man sie aufnimmt. Doch aufgenommen werden sie oft nicht einfach nur so oder beabsichtigt. Nach dem Nürnberger Strafprozess entkamen einige Nazis, die allein schon für ihr Teilhaben in der Partei bestraft werden hätten sollen, doch das wurden sie nicht und sie führten ein "normales" Leben danach. Am meisten sollte man innerlich erstarren, wenn Dokumentationen im Fernsehen über den 2. Weltkrieg laufen mit Augenzeugen und Personen erzählen, was für Schlechte Leute Sowjets waren: "Das sind keine Menschen, das sind Tiere....!" So hieß es einmal in einer Dokumentation. Nicht die ehemalige Diktatur Hitlers wurde angezweifelt, es wurden die Soldaten, die kamen, um ihr Volk zu rächen, um für jene 13 600 000 Menschen zu kämpfen, die sie verloren. Natürlich versteht man dann da den Sinn, den Bernhard Schlink ansprach. Wieso haben sie nichts gegen Hitler getan? Wieso reden sie heute schlecht von den Alliierten, etc. und nicht von Hitler und dem Dritten Reich? Das ist auch der Grund, warum sie als Schuldige bezeichnet werden können und letztendlich dann als Opfer, denn das Image überträgt sich ja auf sie. Im Ausland sagt man, dass Deutschland immer noch so nazistischer Staat sei, obwohl das nicht stimmen kann, allein aufgrund der Tatsache, dass die Bevölkerung auf die Endergebnisse in Sachsen und Brandenburg kritisch reagiert hat, bis auf die, die sie wählten, doch das war verhältnismäßig ein sehr kleiner Teil. Zu Zeiten Hitlers wäre ein solches Ergebnis eher willkommen gewesen.... logischerweise. Auch Kampagnen wie Denkt@g beweisen doch täglich, dass die Gegenwart einen solchen Ruf nicht verdient hat, im Gegenteil man sollte sie loben. Verdanken können wir das dem veränderten Denken der Menschen, durch das Lernen aus dem, was bisher geschah, dass wir es nicht einfach links liegen lassen, sondern eigene Initiativen in die Hände nehmen. Gemeinschaftskunde und Geschichte ist dabei genauso ein wichtiger Faktor wie der Besuch eines KZ, denn sieht man sowohl auf theoretische, als auch auf praktische Weise, wie es war und dadurch wissen, dass es schlecht war.

Vorher wurde noch der Majdanek- Prozess angesprochen. Auch hier gab es Opfer durch das dritte Reich (Zeitungsartikel: Die Stute von Majdanek (Süddeutsche Zeitung)) :
Zwei Personen haben wohl am meisten gelitten bei dem Prozess, nein, nicht die Angeklagten, es waren vor allem der Richter und der Staatsanwalt. Im Zeitungsartikel schildern sie ihre psychische und physische Situation während des Prozesses und danach.
Der Staatsanwalt Dieter Ambach meinte selber, dass er "dem deutschen Staat seine Gesundheit geopfert" hat, indem er diese "Monster" anklagte, denen hundertfacher Mord vorgeworfen wird, Hermine Ryan sogar hunderttausendfacher Mord. Durch den Prozess, der viele Jahre andauerte, hat er die Sprache verloren und bekam sie erst wieder mit Hilfe einer Logopädin. Naja, direkt wegen dem Prozess war es nicht, es war aufgrund eines Schlaganfalles. Heute kann er kaum mehr laufen, tauchen darf er nicht und rauchen auf jeden Fall nicht. Sein einziger Trost bei der ganzen Sache ist, dass er mit Verlaub behaupten kann, er habe "versucht" etwas Positives zu bewirken. Er persönlich hätte Hermine Ryan nicht freigelassen, sie nicht begnadigt. An eine Situation kann er sich besonders "gut" erinnern: Er kam wieder einmal nach einem Prozesstag nach Hause, wo ihm dann sein Sohn entgegen kam. Er erinnerte sich z.B. an ein während des Prozesses geschilderten Geschehnisses, bei dem die Haupttäterin einen Mann durchsuchte, der einen Rucksack bei sich trug, in dem sein kleines Kind versteckt war. Hermine Ryan wusste das und schlug so lange auf den Rucksack ein bis der Junge starb. Als er dann seinen Sohn sah, bekam er einen Nervenzusammenbruch.
Beim Richter Günther Bogen war der innerliche Zerfall erkennbar: Er versuchte die ganzen Jahre der Erinnerung durch Alkohol weg zu spülen, doch das hat nicht geklappt. Sein Äußeres Aussehen lässt zu wünschen übrig: dürr und ein kugliger Bauch. Die wichtigste Sache, warum er so fertig ist, ist die, dass er denkt, er habe ein falsches Urteil gesprochen: Lebenslänglich ist zu wenig."Mit dem Urteil werde ich für den Rest meines Lebens nicht fertig werden." Fast zehn Jahre hat der gesamt Prozess gedauert, von der Vorbereitung des größten NS- Prozesses in Deutschland bis zur Verwerfung der Revisionen von sieben Angeklagten im Mai 1984 und der Rechtskraft des Urteils. Sieben Tage die Woche! Der Majdanek- Prozess war in diesem Zeitraum quasi sein Leben und er hat sein Leben danach bestimmt. Manchmal denkt er, dass es schade sei, dass es vorbei ist, doch im nächsten Moment ist er ein wenig "glücklicher" und meint, dass es gut so ist, dass alles vorbei ist.
Über Frau Ryan sagt er, dass sie eigentlich eine normale Frau sei. Der Nationalsozialismus habe sie in ein solches Monster verwandelt. Dennoch haben ihn die ganzen geschilderten Ereignisse vor Wut zum Kochen gebracht, so dass er fast ausgerastet wäre. "Hermine Ryan..... diese Frau hat kein Herz!"


Der Majdanek- Prozess im Überblick

Tatkomplex: Massenvernichtungsverbrechen in Lagern, NS- Gewaltverbrechen in Haftstätten, Kriegsverbrechen
Angeklagte:
Ell., THomas 3 Jahre
Gro., Heinrich Walter Gustav Freispruch
Hac., Hermann 10 Jahre
Läc., Hildegard Martha Luise 12 Jahre
Lau., Emil Josef 8 Jahre
Pet., Fritz Heinrich 4 Jahre
Ryan geb. Braunsteiner, Hermine lebenslänglich (wurde frühzeitig freigelassen durch Begnadigung)
Stri., Arnold Georg 3 1/2 Jahre
Vil., Heinz Hermann Karl 6 Jahre
Tatland: Polen
Tatort: Majdanek
Tatzeit: 1941-44
Opfer: Juden, Häftlinge, Kriegsgefangene
Nationalität: Polen, Deutsche, Griechen, Sowjets, unbekannt
Verfahrensgegenstand: Tötung von 200- 400 seuchenkranken Häftlingen ("Fleckfieberaktion").
Selektion und anschließende Vergasung von mind. 1000 arbeitsunfähigen Jüdinnen sowie von Überlebenden des Warschauer Ghettoaufstandes. Vergasung von insgesamt mind. 200 jüdischen Kindern (teilweise mit ihren Müttern) in drei Aktionen. Tötung von mind. 17.000 Juden, die in drei Gräben getrieben und dort, auf einander liegend, erschossen wurden (Aktion "Erntefest"). Selektion und Erschießung von 3000 vom SSPF Lublin zur Exekution eingelieferten Juden. Erschießung von 42 sowjet. Kriegsgefangenen, nachdem 86 Kriegsgefangene die Flucht aus dem Lager gelungen war. Erschießung von Gruppen von der Sipo eingelieferten, als Partisanen, Partisanenverdächtige oder sonstige Gegnerdes NS- Regimes verhafteten Zivilisten. Einzeltötungen von Häftlingen durch sonstige Gegner des NS- Regimes verhafteten Zivilisten. Einzeltötungen von Häftlingen durch Erhängen, Erscheißen, Erwürgen, Vergasen, zu Tode prügeln und Ertränken in einer Vielzahl von Fällen.

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